Schleswig-Holstein / Kiel / 19.05.2015. Schleswig-Holstein organisiert das Wolfsmanagement neu. Über 650 Gäste diskutierten jetzt im Audimax der Fachhochschule Kiel über die aktuelle Situation der Wölfe in Schleswig-Holstein.
Sie kommen auf leisen Sohlen und sorgen für viel Aufregung im Land. Nach rund 200 Jahren streifen wieder vereinzelt Wölfe durch Schleswig-Holstein. Dabei machen sich die „Heimkehrer“ nicht gerade beliebt und schüren das alte Feindbild. Einbrüche in Schafherden, Risse von Lämmern und Mutterschafen, wie zuletzt im April in Blumenthal, tragen nicht zur Entspannung bei. Weit über 20 tote Schafe und Lämmer musste Schafhalter Jan Siebels zählen. Häufig sind es verwilderte und wolfsähnliche Hunde, die für Verwechslungen sorgen. Etwa zwei Drittel der Übergriffe auf Nutztiere gehen auf das Konto wildernder Hunde, so die Statistik. Eindeutige Nachweise, ob ein Wolf verantwortlich war, gibt es erst nach genetischen Untersuchungen. Hierfür ist zurzeit das Senkenberg-Institut in Leipzig zuständig, erklärte Umweltminister Dr. Robert Habeck, der den Wolfsinformationsabend in Kiel moderierte. Neben Dr. Robert Habeck stellten sich als Referenten und Sachkundige Dr. Norman Stier von der Technische Universität Dresden, Karl-Henning Hinz vom Landesverband Schleswig-Holsteinischer Schaf- und Ziegenzüchter e.V., Dr. Klaus-Hinnerk Baasch, Präsident Landesjagdverband Schleswig-Holstein e. V. und Fritz Heydemann vom Naturschutzbund Deutschland e. V. (Nabu) den Fragen aus dem Publikum.
Wolfsmanagement muss neu überdacht werden – neue Anlaufstelle wird das Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) in Flintbek.
Schleswig-Holstein hat sich dem Thema Wolf frühzeitig gestellt, sagte Dr. Robert Habeck. Bereits die Vorgängerregierung mit seiner Amtsvorgängerin Juliane Rumpf habe die Weichen gestellt. Besonderen Dank richtete Habeck für die bislang geleistete Arbeit im Wolfsmanagement an die 38 ehrenamtlichen Wolfsbetreuer im Land und Wolf-Gunthram von Schenck, den Leiter des Wildparks Eekholt. Der Wildpark hatte von 2010 bis 2015 die Aufgabe eines schleswig-holsteinischen Wolfsinformationszentrums übernommen. Die nötige Neuaufstellung sei allein arbeitstechnisch vom Wildpark Eekholt nicht leistbar. Noch vor wenigen Jahren sind Fachleute des Bundesamtes für Naturschutz davon ausgegangen, dass Wölfe in Schleswig-Holstein bestenfalls einmal als seltene Gäste auftauchen. „Die Wirklichkeit hat uns eines Besseren belehrt“, meinte Habeck zur heutigen Situation. Jetzt streifen Wölfe praktisch permanent durch das Land. 22 sichere Nachweise sowie zwei bestätigte Hinweise gab es in den letzten Jahren. Auch in Dänemark tauchen inzwischen immer wieder Wölfe auf. Das fordere alle Beteiligten, und es fordert sie mehr als ursprünglich gedacht.
Vor diesem Hintergrund strukturieren wir das Wolfsmanagement um und stellen in den nächsten Wochen neu auf. Die hohe öffentliche Bedeutung des Themas erfordert, dass wir es stärken und ausbauen, erklärte Habeck weiter. Es wird künftig staatlich organisiert und beim LLUR angesiedelt. Das LLUR wird die zentrale Erst-Anlaufstelle für Betroffene und Interessierte, es übernimmt die Koordinierung der Aus- und Fortbildung der Wolfsbetreuer im Land. „Wir freuen uns auf die neue Herausforderung“, sagte Anne Benett-Sturies aus dem Bildungszentrum für Natur, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein. Eines der hilfreichsten Werkzeuge zum Umgang mit den Heimkehrern und Zuwanderern sei letztlich das Wissen über die Art und ihr Verhalten. Dadurch könnte sicher auch mancher Schaden vermieden und das vorhandene Spannungsfeld entschärft werden, meinte Benett-Sturies.
Außerdem sollen künftig mit Hilfe integrierter Stationen Herdenschutzpakete an mehreren Orten im Land gelagert und von dort an Betroffene gebracht werden. Auch soll es einen regelmäßigen „Runden Tisch“ geben. Daran sollen unter anderem Jäger, Schafhalter, Natur- und Artenschützer teilnehmen, damit alle gesellschaftlichen Gruppen weiterhin einbezogen werden. Das komplette Programm des neuen Wolfsmanagements soll in wenigen Wochen vorliegen, kündigte Habeck an.
Hilfe für Betroffene
Ginge es nach Karl-Henning Hinz vom Landesverband Schleswig-Holsteinischer Schaf- und Ziegenzüchter e.V., bliebe der Wolf schlichtweg draußen vor der Tür Schleswig-Holsteins. „Wir sind nicht in der Lausitz, sondern in Schleswig-Holstein und das ist nicht vergleichbar. Wir machen uns große Sorgen“, meinte Hinz. Außerdem sei die derzeitige Entschädigungsgrenze von 15.000 Euro pro Betrieb innerhalb von drei Jahren zu niedrig.
Schafland Schleswig-Holstein
In Schleswig-Holstein gibt es nach Angaben der Landwirtschaftskammer 2.200 Betriebe die Schafe halten. Im Sommer sind in diesen Betrieben neben etwa 160.000 Mutterschafen auch die Lämmer auf den Weiden. Damit steigt die Zahl auf rund 344.000 Schafe. Die Ziegenhaltung spielt mit 5.300 Tieren in 530 Betrieben eine geringere Bedeutung.
Höhere Entschädigungsgrenzen für betroffene Einzelbetriebe müssten in Brüssel auf EU-Ebene genehmigt werden. Das sei allerdings vorstellbar, meinte hierzu Umweltminister Habeck. Schleswig-Holstein gehe sogar soweit, das im Zweifelsfall ob etwa ein Hund oder ein Wolf für einen Riss eines Tieres verantwortlich sei, zugunsten des Tierhalters entschieden und eine Entschädigung geleistet werde.
Hinz Wunsch nach einem wolfsfreien Schleswig-Holstein dürfte indessen wenig Aussicht auf Erfüllung haben. Wie Fritz Heydemann vom Naturschutzbund Deutschland meinte, gebe es zwar von 2007 bis 2015 nur 15 bis 19 genetisch einwandfreie Nachweise über Wölfe in Schleswig-Holstein, mittelfristig müsse aber in Zukunft auch mit einer Wiederansiedelung und Nachwuchs gerechnet werden.
Zurzeit handelt es sich bei den Tieren in Schleswig-Holstein überwiegend um junge männliche Wölfe. Im Lauenburgischen oder in der Probstei sei als denkbarer Standort allerdings auch eine Wiederansiedelung eines Rudels mit Nachwuchs vorstellbar, so Heydemann. „Wir wollen offene Weidelandschaften, wir wollen, dass Schafe auf der Wiese grasen und nicht in Ställe verbannt werden. Und deshalb leistet der Staat über das Wolfsmanagement den Tierhaltern ja auch Hilfe und Unterstützung“, kommentierte Dr. Robert Habeck die Situation. Dazu gehöre auch die Erweiterung und Verbesserung des Wolfsmanagements. Vorbehaltlich der Zustimmung des Parlaments soll das Wolfsmanagement für 2016 einen eigenen Haushaltstitel über 100.000 Euro erhalten.
Der Wolf im Jagdrecht?
Ausgerechnet aus dem Naturschutzbund kam der Hinweis, dass ein verhaltensauffälliger Wolf, der etwa immer wieder die gleiche Schafherde heimsuche, im Zweifelsfall auch einmal der Natur entnommen werden müsse. Ohne den Wolf im Jagdrecht sei dies allerdings ein schwieriges Unterfangen, so Dr. Klaus-Hinnerk Baasch, Präsident Landesjagdverband Schleswig-Holstein e. V. „Wir sind wie am Beispiel der ehrenamtlichen Wolfsbetreuer sichtbar, in der Wolfsfrage bereit mit Rat und Tat zu helfen, signalisierte Baasch. Die Situation etwa fremde staatlich bestellte Jäger im eigenen Pachtrevier bei der Nachstellung nach einem Wolf anzutreffen, sei mehr als befremdlich und kaum mit dem aktuellen Jagdrecht zu vereinbaren. Auch die Erlösung eines in einen Verkehrsunfall verwickelten Wolfes sei zurzeit nicht gedeckt.
Der Wolf ist streng geschützt über das Artenschutzrecht, erklärte Habeck. Im Jagdrecht hätte er daher ohnehin eine ganzjährige Schonzeit. Das Jagdrecht hat das Ziel, Bestände wildlebender Tiere zu bewirtschaften, im Sinne einer nachhaltigen Nutzung. Der Wolf befindet sich in einem ungünstigen Erhaltungszustand. Daran wird sich absehbar nichts ändern, meinte der Minister. Vor diesem Hintergrund erscheine das Jagdrecht grundsätzlich weniger zur Lösung der anstehenden Probleme im Wolfsschutz geeignet als das Artenschutzrecht. Um in Gefahrensituationen vorgehen zu können, gebe es auch jetzt die nötigen rechtlichen Instrumente: „Wir haben die Möglichkeit, im Einzelfall artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigungen zur Vergrämung und zum Abschuss zu erteilen“, sagte Habeck.
Drei junge Wilde beschäftigen das Land – mit Nachfolgern muss gerechnet werden
Etwa 300 Wölfe ziehen ihre Fährten durch Deutschland. Der Druck auf bislang wolfsfreie Gebiete nimmt allerdings durch abwandernde Jungwölfe zu. Zurzeit streifen gerade einmal drei Jungwölfe durch Schleswig-Holstein. Schaffen die Tiere den Sprung über die Autobahn A 21 und über vielbefahrene Bundesstraßen, tauchen die heimlichen Wanderer immer wieder einmal in Lauenburg oder im Raum Segeberger Heide auf. Auf dem Weg nach Norden bereiten die Autobahn A7 und Bundesstraßen der Wanderung meist recht kurzfristig ein Ende. Zuletzt wurde ein junger Rüde bei Bordesholm überfahren. Dass die Jungwölfe zum Teil wenig Schau vor Menschen zeigen, liegt an einer teilweisen Gewöhnung durch das Aufwachsen der Tiere auf Truppenübungsplätzen und der durchaus vorhandenen Lernfähigkeit, den Menschen nicht als Feind zu sehen, wenn keine Bejagung stattfindet. Dass besonders Schafherden bei der Jagd heimgesucht werden, liegt nicht am Wildmangel. Schleswig-Holstein und Deutschland liegen beim Wildreichtum an der Spitze europäischer Länder, erklärte Dr. Norman Stier. Schafe bieten sich ohne besonderen Schutz wie etwa durch Elektrozäune oder Herdenschutzhunde als leichte Beute an und versprechen den größtmöglichen Energiegewinn. Für den Wolf ein gutes Geschäft, für die Schafhalter eine bittere Pille. Für die gibt es zwar finanzielle Hilfe, trotzdem waren sich Minister Robert Habeck und die Referenten einig, sei auch der ideelle Schaden nach einem Angriff auf eine Schafherde hoch. Die Ängste und Sorgen seien verständlich. Hilfe werde deswegen so unbürokratisch geleistet wie möglich. Echte Erfahrungen mit dem Wolf in der modernen Gesellschaft und Landschaft fehlen. Jetzt heißt es neu lernen und Lösungen finden, meinte Habeck.
Info:
Der Wolf (Canis lupus), zählt zu den Caniden (Hundeartigen). Leben im Familienrudel (zwei Elterntiere, Welpen, Jungwölfe). Geschlechtsreife männliche Jungwölfe müssen abwandern. Zur natürlichen Hauptbeute zählen mittelgroße Schalenwildarten wie Reh- und Damwild sowie auch Muffelwild oder Rotwild und Kleinsäuger wie Hasen, Kaninchen oder Wühlmäuse. Nutztiere wie Schafe oder Ziegen bilden leichte Beute. Reviergrößen etwa zwischen 150 und 350 km². Im Jahr 2000 zog ein Wolfspaar in der Lausitz erstmals wieder Junge auf. 2013 gab es 32 bestätigte Paare.