Erinnerungen eines Weihnachtsbaums. Auf der Suche nach einer wahren Weihnachtsgeschichte verweilte ich vor einigen Jahren in Gedanken versunken im Schimmer der langsam herab brennenden Kerzen meines Weihnachtsbaums. Es war am Heiligabend, als mich eine leise Stimme erreichte. Mitten aus dem Duft von frischem Tannengrün, unter den brennenden Kerzen, tauchte ich ein in die Gedanken eines Weihnachtsbaums, der so die Bilder seiner Vergangenheit und Gegenwart mit mir teilte und mich an seinen ganz eigenen Gedanken in der Heiligen Nacht teilhaben ließ. Aber vielleicht lasse ich Sie einfach an diesen Gedanken und Erinnerungen teilhaben und den Baum selbst erzählen. Ein warmer Glanz, gefüllt von Lichterschein – verkündet Weihnachtsnacht. In den Kugeln unter den Lichtern an meinen Zweigen, spiegelt sich raschelndes Papier. Lautgemalt von flinken Kinderhänden, die hurtig von Gabe zu Gabe eilend – öffnen, reißen, zerren. Erfüllt von Erwartung und geschäftig auf der Suche nach Weihnachten – verloren im Laut des raschelnden Papiers. Aufgetürmt zu kleinen Bergen bunter Pakete, von geschickten Händen festlich bunt verpackt.
Draußen vor dem Fenster – sinkt ein kleiner weißer Gruß – ganz unbemerkt vorbei.
Und leise klingt durch die Geschäftigkeit – ein Stück Erinnerung. An eine Welt, die meine war und noch als stiller Gruß – als Erbe einer Winternacht – in meinen Nadeln ruht. Sie ist noch nicht verblasst und wer sie auch immer sehen will, der mag mir folgen, ruhig und still.
War es denn wirklich schon so kalt? Nein, von echter Kälte konnte man wahrlich noch nicht sprechen. Auch wenn der schneidende Wind kleine Schneekristalle vor sich her trieb, war dies noch keine Kälte. Noch herrschte geschäftiges Treiben vor dem Einbruch still schweigender Winternacht. Erst wenn hoch oben im Norden der Taiga das Knacken in den Stämmen der Lärchen lauter werden würde, sie Faser für Faser ihre borkige Rinde in den Sturm stemmen und sich nur noch von wenigen sonnenbraunen Nadeln geschmückt, dem eisigen Tod aus dem Norden ergeben würden, erst wenn das wenige verbliebene Nass in ihren Kapillaren im Klammergriff des eisigen Nordwindes erstarren und ihre Stämme mit ohrenbetäubendem Getöse bersten würden und der eisige Gruß aus dem Norden auch die Zinnen des hohen Kaukasus ergriff, dann würde es wirklich kalt werden im Kaukasus. Dann würden die geschäftigen Laute suchenden Lebens verstummen und winterliche Stille einkehren. Noch aber heulten die Wölfe im Kaukasus ihr einsames Lied in die Nacht. Ein Lied, dessen Melodie aus Sehnsucht schon bald gefangen würde von kühler Stille.
Noch streiften die Bären ein letztes Mal durch die Hügel am Fuß der Waldsäume, bevor sie sich in das Dunkel ihrer Höhlen zurückziehen würden – patschten noch einmal mit ihren samtweichen Tatzen am Rand des Flusses durch das erste Eis, das leise knackend vor der pelzigen Last in den murmelnden Strom des Wassers floh.
Fast schüchtern legten sich am Tag Schneeflocken auf die weit ausladenden Äste der Nordmanntannen, verschmolzen Flocke um Flocke zu einem Schleier aus Weiß, der in den wärmenden Strahlen der Mittagssonne in einer platschenden, patschenden Symphonie zu Boden rutschte und in kleinen Rinnsalen vereinigt, wieder dem Wasser des Flusses zustrebte, dem er einst entsprungen war. Wie mit weißen Fingern um sich greifend, breitete sich langsam sanfte Stille aus, unter den himmelhoch aufragenden Wipfeln der ewig grünen Baumriesen – ließ das geschäftige Treiben ruhen.
Nur das leise über die Hänge schwebende Lied aus dem hölzernen Glockenturm der kleinen Kapelle im Tal, mischte sich in das Tippeln kleiner Füße im Schnee, von denen, die sich herauswagten in das winterlich kühle Weihnachtsweiß oder ausharrten und unter dick aufgeplustertem Federkleid im Geäst der alten Tannen verharrten.
Nur wenige Wochen war es her, als wagemutige Zapfenpflücker die hohen Warten gefiederter Sänger erklommen, um in den Wipfeln der Nordmanntannen die reifen Zapfen aus den sich verjüngenden Kronen hundertjähriger Mutterbäume zu pflücken. Nicht jedes Jahr bescherten ihnen die Wälder eine reiche Ernte, die ihren sonst kärglichen Lohn aufbesserte. Dieses Jahr hatte sich die Mühe gelohnt. Sack um Sack hatten Levani Gabaschwili und andere Kleinbauern aus dem Tal unter Einsatz ihres Lebens in Schwindel erregender Höhe mit tausendfach geübtem Griff gefüllt und auf die hölzernen Ochsenkarren geladen, die am Fuß der Bäume auf ihre Last warteten. Dieses Jahr würde es einen reich gedeckten Weihnachtstisch geben, würden die hungrigen Mäuler der Kinder – begleitet von zufriedenen Blicken ihrer kletternden Väter – wohlig vor sich hin schmatzend ihre eigene Weihnachtsgeschichte erzählen. Ganz ohne Worte, nur mit einem stillen Glanz in den Augen, kauend, schmatzend und erfüllt von Weihnachten. Mit vollen Bäuchen kauend in das Stroh geschoben, auch die Ochsen im Stall, die geholfen hatten die prall gefüllten Zapfensäcke auf den kleinen Hof zu karren. Weit war die Reise der unzähligen kleinen Samen aus den Zapfen der Nordmanntannen gegangen, hinter denen sich die georgische Vergangenheit mit einem leisen Knarren des schlichten Lärchenholztores auf dem Hof von Levani Gabaschwili geschlossen hatte. Eine Reise von Georgien, bis hinauf in den Norden Europas, um hier auf den lehmschwangeren Hügelrücken Schleswig-Holsteins zu prächtigen Weihnachtsbäumen heran zu wachsen und letztlich unter kritischen Blicken und prüfenden Händen Ast für Ast und Nadel für Nadel, in ein Kleid kaukasischen Grüns verpackt, geprüft zu werden. Nicht gefragt, was unter grüner Nadel Schein verborgen wohnt, was Einzug hält in stille Stunde, gehüllt in Lichterschein und in sich trägt – die Erinnerung an leisen Glockenklang in einem fernen Land. Und aus dieser Ferne klingt ein leiser Ton. Papiergeraschel ist verstummt. Draußen vor dem Fensterglas winkt leise vor sich hin, ein kleiner weißer Gruß, weht fort – in kühler Winterluft. Und in einer Kugel Glanz, da spiegelt endlich sich – ein zufrieden kauend, schmatzend Kindermund.
„Ich wünsche Ihnen eine gesegnete, zufriedene Weihnachtszeit und strahlende Kinderaugen, ganz gleich, ob am Tisch in der kleinen georgischen Stube von Levani Gabaschwili oder im festlichen Glanz ihres heimischen Wohnzimmers.“
Ihre Abies Nordmannia